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neutral

Der Schriftzug neutral o referiert zunächst in seiner typografischen Neutralität und in seiner Farblosigkeit auf sich selbst. Er kopiert die Ästhetik seriöser Werbung und scheint vermeintlich in ihr auf- oder gar unterzugehen.

Das Ornament neutral o beschreibt die unfreiwillig zur Indifferenz neigenden, sich nahezu selbstaufhebenden Werbebotschaften, als auch das Gegenteil dessen, was mit ihnen vermittelt werden soll: Differenzversprechungen, Konditionierung und Produktprägung.

Strategien, die diese Elemente des kapitalistischen Dauerkultes entweder angreifen, verneinen oder feiern, sind für die vorgeschlagene Arbeit nicht maßgeblich. Sondern gerade das, was sowohl im kapitalistischen Prozeß als auch im Kunstmarkt, der im ersten enthalten ist, eben nicht sein darf, wird als „leeres Produkt“ vorgestellt: Der freie Kreis des Marken- bzw. Registrationssymbols verweist ebenso auf jenen branding-Kult wie auf jenen Produktfetischismus, den der Kunstmarkt erzeugt und aus dem er seine Vitalität bezieht. Welche Emotionen, oder aber welches Bewußtsein kann dieses „leere Produkt“ hervorrufen, dessen Name das wesentliche Ziel aller Bemühungen - die Entscheidung für das Produkt und die Differenz - verneint? Wir haben das Bewußtsein für dieses Problem längst entwickelt und stehen doch der sich fortsetzenden Unvernunft unseres Daseins, der zerstörerischen und durchschaubaren Funktion unseres Systems als Zyniker gegenüber bzw. befinden uns mitten darin. Haben wir uns schon neutralisiert?

Natürlich benennt die Arbeit auch jene Schweizer „Marke“, welche sich zu leisten ebenso zum Vorteil wie auch zum Verhängnis gereichen mag: Neutralität.

Die Arbeit neutral o korrespondiert mit den Arbeiten, die von anderen Künstlern schon für das Projekt NEON realisiert wurden: mit Sylvie Fleury´s „yes to all“ - totale Positivität mit maximaler Indifferenz und somit Selbstauflösung, mit Christian Jankowski´s „soll ich noch Geld ausgeben?“ - die Unsicherheit mit der Allpotenz Geld, die man hat, aber vielleicht besser zurückhält, mit Jerome Leuba´s Arbeit - formales Weiss, gelöschte Information, imperativfreie Form. Darüber hinaus kommentiert der Begriff „neutral“ auch den mit eingeschlossenen, streng genommen neutralen Standort der künstlerischen Position: Kunst ist immer nur einlösbar und definiert im Bild. Auch wenn dieses Bild noch so radikal ist. Sie muß, will sie als Kunst gelten, außerhalb des lebensweltlichen Tuns stehen, und sie kommt nur dann zu ihrem Wert und in ihr Sein, wenn sie symbolisch handelt.

Und: Der Schriftzug neutral o , mit einer schlichten pharmazeutischen Werbung verwechselbar, trägt die Diagnose einer globalen Lethargie in sich. Der Eindruck, selbst nicht handlungsfähig oder entscheidungsfähig zu sein, selbst nichts ändern und nichts planen zu können, und sich letztlich besser „raus zu halten“ grassiert in einer Welt, in der ja angeblich „alles möglich“ ist, und folglich der Wunsch, nicht mehr mitzumachen, nicht mehr mitmachen zu müssen: Eine noch leidlich euphemistische Haltung privater Passivität bzw. Resignation, eine Selbsthypnose welche ein über sich selbst hinausreichendes Ziel nicht mehr ins Auge fassen kann. Doch auch die gegenteilige Bemühung, sich aus dem „falschen Leben“ herauszuarbeiten, endet zumeist in einem Kompromiß, der sich mehr oder weniger in einer angeblich neutralen Grauzone von Bequemlichkeit, Depression und Beschwichtigung einrichtet. Die „Werbebotschaft“ bzw. das Produkt neutral o kann dafür nur passend sein, wenn man sich nämlich erneut in der Summe aller Kompromisse wiederfindet. Das Grundversprechen der Werbung: Die Auflösung des Mißverhältnisses des eigenen Lebens, wird mit dem Nichtangebot, mit der Nivellierung aller erdenklichen Wünsche im „Nicht-Produkt“ neutral o aufgelöst. Auch derjenige, der sich für neutral hält, täuscht sich. Es gibt weder eine politische, eine ökonomische noch eine soziale Neutralität.

In diesem Sinne gilt auch das „Mittel“ neutral o als Lüge.

 

 

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